Dein Artikel beim Kollektiv
Wir vom “The Women All Ride” – Kollektiv wollen die Fahrradwelt in all ihrer Vielfalt abbilden. Daher haben wir nicht nur die Kategorie: ALL RIDE WITH… initiiert, sondern möchten auch Gastbeiträge und Erfahrungen unserer Leser:innen teilen. Die Themen sind dabei so abwechslungsreich und unterschiedlich wie unsere Community selbst. Von der persönlichen Herausforderung, über soziales Engagement bis hin zu weiterbildenden und gesundheitlichen Themen rund ums Radfahren – dein Artikel beim Kollektiv zeigt die Diversität und Vielfältigkeit der radfahrenden Menschen!
Du hast auch eine tolle Artikelidee? Dann schreibe uns eine Nachricht! Wir freuen uns über Vorschläge!
Die Zuffka – ein Rikscha Mobilitätsprojekt
Carola Pein ist Teil eines besonderen sozialen Projekts. Sie fährt mobilitätseingeschränkte Menschen mit der Rikscha Zuffka durch Stuttgart. In diesem Gastbeitrag berichtet sie über ihre Erlebnisse. Doch zunächst ein paar Worte zu Caro:

Eine kurzer Satz über dich:
Ich bin 47 Jahre alt und wohne mit meiner kleinen Patchworkfamilie in Stuttgart. Ich arbeite als Arbeitsanleiterin in einer Kreativwerkstatt in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe.
Deine Art Rad zu fahren/ bzw., welches Rad fährst du am liebsten?
Mein Lieblingsrad ist ein kunterbuntes Trekkingrad, wenn ich weiter weg muss kommt das Faltrad mit in den Zug, im Winter fahre ich Mountainbike und wenn es mal mehr zu transportieren gibt Lastenrad.
Was bedeutet Radfahren für dich?
Radfahren ist für mich unabhängige und freie Mobilität. Ich stehe in keinem Stau, ich warte auf keine Bahn, ich kann fahren wann und wohin ich will.
Bei der Diskussion um Verkehrswende und Autofreie Innenstädte dürfen alte Menschen und Menschen die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, nicht vergessen werden. Für manche Menschen sind auch kurze Strecken zum nächsten Laden, zum Arzt, zum Friseur, oder einfach mal wieder in den Park zu weit und allein nicht machbar. Taxis lehnen solch kurze Strecken oft ab, da sie nicht rentabel sind. Eine Fahrradrikscha verkürzt die Wege, kann vor der Tür abholen, bis dicht vor das Ziel fahren und trägt so zu einer selbstbestimmten sozialen Teilhabe bei.
Zuffka, was ist das?
Die Zuffka – die Zuffenhausener Rikscha – ist eine Fahrradrikscha, die in den Stuttgarter Stadtbezirken Zuffenhausen, Stammheim, Rot, Freiberg und Zazenhausen unterwegs ist. Sie fährt von Montag bis Freitag und befördert Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind umsonst, alle anderen gegen eine Spende, die selbst festgelegt wird. Die Rikscha deckt einen Mobilitäts-Umkreis von ca. 10 Kilometern ab und funktioniert wie ein klassisches Taxi. Wir kommen auf Anruf – wenn wir gerade nicht belegt sind – oder es gibt Terminabsprachen, die schon im Vorfeld ausgemacht sind.
Ins Leben gerufen wurde dieses Projekt 2019 von einer Hand voll Idealist:innen, finanziert durch Spenden ortsansässiger Läden, Firmen und Menschen und fährt unter dem Bürgerverein Zuffenhausen.
Die Menschen hinter dem Rikscha Mobilitätsprojekt
Wir sind ein 7 köpfiges Fahrer:innen Team, die alle ehrenamtlich in die Pedale treten, das ganze Jahr und bei Wind und Wetter. Es gibt tatsächlich kaum Tage, an denen die Rikscha nicht fährt. Irgendwie schaffen wir es immer uns gegenseitig zu vertreten, wenn jemand aus dem Team ausfällt.
Ich bin vor ca. 1 ½ Jahren zu dem Team gestoßen und möchte die Zuffka nicht mehr missen. Es ist nicht nur der Spaß am Rikscha fahren, es sind auch die Interaktionen mit unseren Kund:innen, die Reaktionen der Passant:innen und die Entschleunigung des motorisierten Verkehrs, die das Rikscha fahren so besonders machen.

“Hätte ich gewusst wie schön das ist, hätte ich schon früher angerufen!”
Die meisten unserer Kund:innen sind schon sehr alt und nicht mehr gut zu Fuß. Viele von ihnen berichten, dass sie anfangs ihre Zweifel hatten unser Angebot in Anspruch zu nehmen und es sie Überwindung gekostet hat es auszuprobieren. Aber die meisten, die einmal mitgefahren sind, nutzen die Rikscha immer wieder.
Sie gewinnen ein Stück Freiheit und selbstbestimmtes Handeln zurück. Oft ist der Weg zum Ziel das mühsame Hindernis: hohe Bordsteine, kurze Grünphasen an Fußgängerampeln, zugeparkte und blockierte Gehwege. Alltägliche Gänge werden zum anstrengenden Kraftakt. Natürlich gibt es Angebote wie die Nachbarschaftshilfe, die z.B. Einkäufe abnimmt, aber die freie Wahl des Ladens, des Lieblingsbäckers oder der Produktauswahl wird damit eingeschränkt. Und auch die soziale Interaktion entfällt. Die Menschen bekommen zwar was sie benötigen, bleiben aber dennoch allein Zuhause.
Mit der Rikscha mitten im Leben
Die Rikscha ermöglicht ihnen eine aktive Teilhabe am Leben. Zum Beispiel einfach mal wieder raus aus den eigenen 4 Wänden, und an einem sonnigen Tag in den nächstgelegenen Park zu kommen, um dort 2 Stunden auf einer Parkbank zu sitzen. Dort können sie spielenden Kindern zuschauen und mit anderen Menschen ins Gespräch kommen. Das Wichtigste dabei: Sie müssen sich keine Sorgen machen, ob sie den Rückweg bewältigen können. Sie selbst entscheiden, wann sie wohin möchten.
Unsere Kund:innen sind sehr dankbar für das Angebot. Obwohl wir umsonst fahren, da wir finden, dass Mobilität und soziale Teilhabe jedem Mensch offen zugänglich sein muss, spenden sie großzügig oder zeigen uns auf andere Weise wie wichtig die Rikscha für sie geworden ist. So bekam z.B. zu Weihnachten jede:r aus unserem Team einen wunderschönen selbstgemachten Zuffka-Schlüsselanhänger von einem Kunden, der an Parkinson leidet. Die Herstellung hat ihn sicher viel Kraft und Mühe gekostet.

Von Mensch zu Mensch
Die Rikscha hat nicht nur auf unsere Kund:innen eine positive Wirkung, sie beeinflusst auch die direkte Umgebung. Passant:innen lachen und winken, wenn wir vorbeifahren, Kinder staunen und sobald ich irgendwo stehe und warte, bin ich im Gespräch mit den Menschen. Das Interesse an der Zuffka ist groß, wir bekommen viel Lob und Zuspruch, aber auch Bewunderung, dass wir uns mit einer Rikscha in den Verkehr trauen.
Radinfrastruktur und Verkehr mit Rikscha – eine Herausforderung
Den Verkehr erlebe ich mit der Rikscha noch einmal ganz anders, als wenn ich allein mit dem Rad unterwegs bin. Stuttgart ist schon aufgrund zweier großen Automobilfirmen – eine davon ansässig in Zuffenhausen – nicht unbedingt bekannt für seine Fahrradfreundlichkeit. Die Radinfrastruktur lässt, wie beinahe überall, schwer zu wünschen übrig.
Da die Rikscha breiter ist als ein gewöhnliches (Lasten-)Rad und ich zusätzlich auch verantwortlich für die Sicherheit meiner Fahrgäste bin, fällt es noch einmal viel mehr ins Gewicht, dass Radwege oder Schutzstreifen viel zu schmal sind, abrupt aufhören oder zugeparkt sind.
Durch die Topografie Stuttgarts müssen auch immer wieder seriöse Steigungen überwunden werden, was trotz E-Motorunterstützung vor allem mit Fahrgast oder Fahrgästen, manchmal recht langsam geht. Die Ungeduld des motorisierten Verkehrs ist oft deutlich zu spüren und gefährliche Überholmanöver gehören leider zu jeder Fahrt.
Aber es gibt auch erfreuliche Überraschungen. So sind es z.B. meist die LKW- oder Busfahrer:innen, die mich von einer Seitenstraße kommend in den fließenden Verkehr einordnen lassen, was ich in meinem Fahrrad Alltag wenn ich allein auf dem Rad bin ganz anders wahrnehme.

Alles in allem
Mit unserem Angebot wollen wir erlebbar machen, wie eine bürgerfreundliche Quartiersentwicklung aussehen sollte, wie alternative Mobilitätsformen einsetzbar sind und wie ein stärkeres soziales Miteinander der zunehmenden Isolation vieler Menschen ein Ende setzen kann.
Seit ich bei diesem Projekt mitmache denke ich mir oft, dass jeder Stadtteil, jeder Kiez, jedes Quartier und auch jedes Dorf seine eigene Rikscha haben sollte. Der Bedarf ist da, das Angebot würde bestimmt überall genutzt werden. Die Rikscha trägt zu mehr selbstbestimmter Teilhabe für Menschen bei, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sie verbindet Menschen und bringt sie zusammen. An keinem Tag der Woche sehe ich so viele fröhliche, lachende und winkende Menschen wie an meinen Zuffka Nachmittagen.
- Text: Carola Pein
- Korrektur/ Layout: Juliane Schumacher
- Fotos: Markus Vordermeier
Eine wunderbare Initiative und ein wunderbarer Bericht dazu. So kann mensch nur schreiben, wenn – in diesem Falle – SIE diese Idee vorbehaltlos lebt. Klasse!