Sitzbeschwerden beim oder nach dem Radfahren? Kennen wir!
Wir von TWAR das sind: Marie, Wiebke, Steffi, Johanna, Eva, Jule (Radelt) und Juliane (Radelmädchen). Wir fahren alle ein paar Jahre Rad und haben uns zu TWAR zusammengeschlossen, um unsere Erfahrungen zu teilen. Dazu gehören die schönen, erlebnisreichen, ermutigenden Geschichten, aber auch die unangenehmen Themen, wie das Kapitel Sitzbeschwerden. In diesem Artikel klären wir die Fragen rund um den Po: Wie ist das eigentlich bei uns?

Welche Erfahrungen mit Sitzbeschwerden haben wir gemacht?
Wahrscheinlich kennt sie jede:r, die/der das hier liest – Sitzbeschwerden. Schmerzen sind sehr individuell, können diverse Ursachen haben. Bisher hat sich auch kein Allheilmittel für Sitzbeschwerden gefunden. Aber was aus unserer Erfahrung hilft sind zwei Dinge: darüber reden und dann handeln! Im folgenden Abschnitt teilen wir unsere “Wehwehchen” mit euch. Vielleicht erkennt ihr davon was wieder und fühlt euch verstanden.
“Ich kenne zwei Formen von Sitzbeschwerden: Der Sattel passt nicht zum Hintern – dann tut es mir “im” Körper weh, an den Knochen, oder an der Muskulatur. Und dann gibt es noch die Probleme mit der Haut, weil der Stoff reibt und es zu wunden Stellen oder Pusteln kommt. Dazu ist die Hose auf langen Brevets halt irgendwann nicht mehr die frischeste, und Dreck und Salz beschleunigen vermutlich noch Entzündungen.”, berichtet Eva.

Marie und Steffi haben leider beide auch schon Erfahrungen mit Saddle-Sores gesammelt. “ In der Vergangenheit hatte ich starke Sitzbeschwerden und musste ein Event auch bei 404 km abbrechen, weil der Saddlesore zu stark wurde.”, berichtet Marie.
Bei Steffi ging es sogar bis hin hin zu chronischen Entzündungen sowie Rötungen, Druckschmerzen und Taubheitsgefühl.
Aber auch “kleinere” Blessuren, wie Pickelchen und Furunkel können sehr unangenehm werden, erklärt Johanna.
Von denen berichtet auch Sandra, in Kombination mit unangenehmen Druck im Bereich der Vulvalippen, was auch oft der Auslöser sein kann.

Jule berichtet, dass sie wiederum wenig bis keine Probleme hatte und wenn dann nach längeren und harten Rennen. Auch Wiebke blieb bisher weitestgehend verschont. Marie stimmt zu und sagt, “Mittlerweile habe ich die richtige Position und den richtigen Sattel gefunden, sodass ich auf mittellangen Strecken und über längere Tage sogar auf Creme verzichten kann.“
Wir wollen hier keine Horror-Stories erzählen oder durch die genannten Erfahrungen abschrecken. Denn: Radfahren macht Spaß. Diese Freude wächst, wenn alles stimmig ist. So auch die Sache mit dem Sattel. Für jedes größere oder kleinere Problem gibt es eine Lösung. Hier folgen unsere 9 Tipps für beschwerdefreies Fahren.
Unsere 9 Tipps für beschwerde- und schmerzfreie Radtouren:
1: Sattel
Nummer eins ist der passende Sattel. Dabei sind viele Faktoren entscheidend. Zum Beispiel der Sitzknochenabstand. Eine Sitzhöckervermessung im Rahmen eines Bikefittings kann den entsprechenden Abstand messen.
Einmal die richtige Breite gefunden, können alle Sättel angepasst werden. Alternativ zum Fitting kann auch im Internet anhand von Schablonen, Wellpappe und Anleitungen, die richtige Sattelgröße bestimmt werden.
Am Anfang ist die Belastung auf dem Sattel immer mit Druck verbunden, der an den Sitzhöckern unangenehm sein kann. Da entstehen kleine Entzündungen, weil sie der Körper erst an die Belastung gewöhnen muss. Alle anderen Schmerzen sollten nicht sein. Ich empfehle sehr ein Bikefitting mit Satteldruckmessung zu machen. Natürlich kostet das erstmal, aber am Ende spart man Nerven und wahrscheinlich sogar Geld, weil man nicht zich Sättel und Hosen ausprobieren muss.
Ein Bikefitting empfehle ich aber auch, weil auch durch eine falsche Sitzhaltung zu viel oder falscher Druck auf dem Sattel entstehen kann und da dann auch die beste Hose und der passendste Sattel nicht helfen wird.”, erklärt Johanna. Bikefitting ist daher gerade bei Sattelproblemen oft ein guter Lösungsansatz. Mehr zu Bikefitting findet ihr unter Punkt 7.
2: Sauberkeit
Auf längeren Touren solltet ihr euch abends gründlich duschen oder mit Feuchttüchern im Intimbereich säubern. Außerdem ist ein täglich sauberes Sitzpolster und eine zweite kurze Dusche dem Start empfehlenswert. Dies verhindert das Bilden von Bakterien und somit auch das Risiko der Rötungen, Pickelchen und Co.
3: Pause und Luft
Ein Tag Pause kann schon Wunder bewirken. Nach einer Tour ist es empfehlenswert, die Radhose so schnell wie möglich gegen eine lockere Hose zu tauschen. Auch über Nacht kann etwas Luft Reizungen bemerkenswert lindern.
Im Sommer also schnell in eine luftige Klamotte wechseln oder gar nackt schlafen. Wenn es sehr unangenehm ist, hilft auch ein Pausentag, damit Heilung stattfinden kann und Schlimmeres vermieden wird.

4: Cremes und Babypuder
Cremes können sowohl präventiv als auch bei akuten Problemen eingesetzt werden. Gerade auf längeren Touren und im Winter machen Sitzcremes Sinn. Ein gründliches (auf längeren Strecken auch wiederholtes) Eincremen kann helfen. Wenn Probleme entstanden sind, kann Rash Babypuder und Zinkcreme empfehlenswert sein – sowie viel Luft.
Bei Furunkeln können Zugsalben helfen, manchmal muss es aber auch rausgeschnitten werden, wenn es nicht von selbst wieder zurückgeht.
Neben etwas teureren Cremes wie Muc Off oder Assos, hat sich auch die Kaufmann’s Kindercreme bewährt.
Im übernächsten Abschnitt gehen wir nochmal etwas genauer auf das Thema Chamois-Cremes ein.
5: Rasur
Für empfindliche Haut empfiehlt sich definitiv KEINE Nassrasur. Stutzen reicht allemal und verhindert eingewachsene Haare und schützt die Flora im Intimbereich. Dies ist vor allem bei längeren Belastungen zu bedenken.
6: Bikefitting
Ein Bikefitting ist durchaus empfehlenswert. “Wenn ich daran denke, wie viele Sättel, Bibs und Cremes ich vorher gekauft und getestet habe, wird mir schnell klar, dass ich das Fitting viel früher hätte machen müssen.”, berichtet Marie.
Ein Fitting der Kontaktpunkte in der Gesamtheit (Hände, Hintern, Füße) hilft dabei die passende Sitzposition zu finden und vielerlei Schmerzen zu verhindern.
Sandra erzählt: “Beim Bikefitting mit Satteldruckmessung wird nicht nur die richtige Sattelbreite bestimmt. Es wird auch die Sattelposition eingestellt und die Sattelneigung. Stimmt die Sattelbreite aber der Sattel ist viel zu weit hinten, sitzt man zu weit vorn auf der Sattelnase. Das kann zu Druck im Schambeinbereich führen.
Ist die Sattelposition zu geneigt, kann dies ein Rutschen verursachen und dadurch die Bewegung auf dem Sattel erhöhen. Dadurch erhöht sich auch die Belastung der Haut und es kann unangenehm werden. Sogar die richtige Höhe des Sattels kann einen Einfluss haben auf komfortables Sitzen. Ein zu hoher Sattel lässt die radfahrende Person hin und her rutschen.

Und Rutschen verursacht Reibung und Reibung verursacht mitunter Schmerzen und sogar Wunden.”
7: Unterwäsche weglassen
Um noch mehr potentielle Reibungspunkte zu vermeiden, ist es sehr empfehlenswert ohne Unterhose in die Bibshorts zu steigen. Abends solltet ihr die Hose sowieso wechseln oder waschen, um am nächsten Tag eine saubere Hose zu tragen. Siehe Punkt 2 Sauberkeit, da nach vielen Stunden im Sattel, um das Hautirritationen, Bakterien und die Kombination aus beidem zu verhindern.
8: Abwechslung
Auf Bikepackingtouren bietet es sich an, zwei verschiedene Radhosen mitzunehmen und auszutauschen. Der Po freut sich über etwas Abwechslung zwischendurch und mit zwei Hosen habt ihr auch die Möglichkeit, abends immer eine zu waschen und sie tagsüber auf dem Rad zu trocknen. Wenn du verschiedene Hosen testest, dann findest du auch schneller deine Lieblingshose. Mit der fährt es sich sowieso am besten.
9: Keine Experimente vor langen Touren
Last but not least: Setz auf das, was sich bewährt hat. Das richtige Sitz-Setup zu finden, was auch auf langen Touren funktioniert, ist gar nicht so einfach. Aber wenn man erstmal den passenden Sattel bzw. die richtige Sattel/Hosenkombi gefunden hat, sollte man dabei bleiben und zumindest vor Touren keine Experimente wagen. Jule (Radelmädchen berichtet: “ Ich nehme für Leihräder auch gern einfach meinen Sattel mit, denn das Risiko unter Schmerzen fahren zu müssen, ist mir einfach zu hoch.”
Der richtige SATTEL - DIE RICHTIGE BIBSHORT? DAMIT FÄHRT DAS KOLLEKTIV GUT!

Seit dem Transcontinental Race fahre ich den Ergon SR Pro Women Sattel und aktuell Hosen von Velocio, Universal Colors und 7Mesh. (Johanna)
Für mich ist es der Specialized Power Mimic Women und die Bibshorts von 7Mesh. (Steffi)
Meine beste Hose ist die Luxe Bib von Velocio, wobei ich die Träger recht straff finde. Beim Sattel bin ich noch am Probieren. Bei einem Bikefitting passten ein SQ Lab-Sattel (612) ganz gut und der Power Mimic von Specialized. Im Dauertest ist es noch nicht ideal, leider.” (Sandra)
Auf dem Gravelbike fahre ich den SQ Lab 612 in der breitesten Größe. Schau auch nochmal hier, wenn dich die Sattelgröße interessiert. Auf dem Rennrad fahre ich den Specialized Mimic Power Comp Sattel in 168 Breite. Der Sattel fährt sich auch mit Auflieger perfekt. Meine Lieblingsbib ist die Velocio Luxe Bib, auch wenn sich jetzt nach einem Jahr fahren, die Naht vom Pad löst. (Marie)
SQ Lab 612 ERGOWAVE® active 14cm, am liebsten Hosen mit dünnen Polstern von Elastic Interface. (Jule radelt)
Mein Sattel ist der SQ Lab 14 und meine Lieblingsbib ist die H.laalaLai Shorts von ASSOS ohne Träger. (Eva)
Ich schwöre auf den Brooks Cambium (bisher ohne Aussparung, da bei mir jede potentielle Kante, schnell Druckstellen verursacht. Bei langen Touren nutze ich den Cambium fast immer mit Fahrradhosen mit Polster. Ich mag die DHB Damenbibs ganz gern, aber auch einige Hosen von Vaude und adidas funktionieren für mich. Zu viele verschiedene habe ich aber noch gar nicht probiert. (Jule Radelmädchen)
Mein Lieblingssattel auf dem Rennrad ist der Brooks Cambium C13 carved und auf dem Gravelbike der Selle Italia Diva Flow, den ich auch auf meiner langen Südamerika Radreise gefahren bin. Bib-technisch bin ich bei Ryzon sehr gut versorgt. Ich fahre am liebsten die unisex Signature Bib Shots und die Womens Bib im Wechsel. (Wiebke)
Sitzcremes: ja oder nein?
Die richtige Sattel- und Bibwahl ist sehr individuell. So auch mit der Sitzcreme, auch Chamois-Creme genannt. Manche gehen nie ohne, andere immer ohne. Manche manchmal.
Hier ein Einblick in die Cremes, die wir so nutzen:
Während sich Johanna (Assos), Jule (Chapeau Cycling) und Steffi (Muc Off Ladies Chamois Creme) bei langen Fahrten gut mit Creme versorgen, fährt Sandra zum Beispiel nur selten mit Sitzcreme. “Ich habe gemerkt, gerade wenn es warm ist und ich viel schwitze, wirkt sie kontraproduktiv. Vielleicht kann der Schweiß da weniger gut abgeleitet werden. Ich fahre vielleicht 1% meiner Radfahrten mit Chamois-Creme. Bei Tagestouren meist ohne.”

Marie wägt ab und berichtet, “Ich benutze Chamois-Creme nach Bedarf und Gefühl. Mittlerweile habe ich sie dabei und schmiere sie DÜNN rauf, wenn ich denke, dass es mir gut tun würde. Beim letzten Maurice Brocco habe ich nach 250 km vorsorglich etwas Creme aufgetragen.”
Für Eva hat sich Melkfett mit Ringelblumen-Extrakt aus der Drogerie nach langen Testfahrten bewährt. Sie nutzt die Creme bei Touren ab fünf Stunden. Wiebke gesteht, dass sie nur selten Chamois-Creme benutzt und noch nie selbst eine gekauft hat.
Fazit
Wir hoffen, dass ihr aus unseren Erfahrungen etwas wertvolles ziehen könnt. Auch wenn wir keine Bikefitterinnen oder Orthopäd:innen sind, hoffen wir, dass wir die Wichtigkeit und Individualität dieses Themas unterstreichen konnten.
Jule und Eva fassen das Thema nochmal schön in ihren Worten zusammen. Jule erzählt: “Keine:r sollte Schmerzen beim Ausüben von Hobbies oder in der Freizeit haben. Es gibt zig Möglichkeiten, woher Schmerzen kommen können, aber es lohnt sich der Sache auf den Grund zu gehen und es gibt gute Lösungen (Fitting, Sättel, Hosen …) und viele Tipps (siehe oben). Die Kunst ist, die richtige Kombi zu finden. Und wichtig ist natürlich auch nach körperlichen Dysbalancen zu schauen, wie Beinlängen, Rumpf- und Bauchmuskulatur.”
Eva ergänzt, “Manchmal werde ich um Kaufempfehlungen gebeten, dann sag ich gern zwei Sachen: Pfeif auf Deine coole Lieblingsmarke und lass Deinen Hintern entscheiden. Außerdem glaube ich nicht dran, dass ein Sattel “eingefahren” werden kann. Wenn er nicht funktioniert, probier’ was anderes. Es ist unser Hauptkontaktpunkt zum Rad – das sollte schon passen.”
Es lohnt sich also zu suchen und zu finden. Denn schmerzfreies Fahren ist das, was wir euch allen von Herzen wünschen.
Redaktion: Wiebke Lühmann
Lektorat: Sandra Schuberth
Layout/ Edit: Marie Beulig
Header Foto: Lukas Piel