Wer sich für das Radfahren über lange Distanzen interessiert, stößt früher oder später auf Brevets – eine Veranstaltungsform, die einen ganz entspannten Einstieg in die Langstrecke bietet, wie Eva findet. In diesem Artikel teilt sie mit Euch, was ein Brevet ist, wie das als Event funktioniert und was sie daran so besonders mag. Und wenn dir das Lust macht, es einmal auszuprobieren, hat sie auch ein paar einfache Tipps für einen leichten Einstieg.
Was ist das eigentlich, ein Brevet?
Das Brevetfahren hat seinen Ursprung in Frankreich. Dort sitzt auch der Weltverband „Randonneurs Mondiaux“, die weltweite Dachorganisation.
Brevet ist ein französisches Wort (es wird „Breveee“ ausgesprochen) und bedeutet wörtlich übersetzt Prüfung. “Randonneur*in“, was als Wort auch irgendwie ins Deutsche gelangt ist, heißt eigentlich Wanderer*in; gemeint ist natürlich das Radwandern.
Zum Weltverband gehören in Deutschland derzeit vierzehn sogenannte Brevet-Standorte, an denen Menschen sich darum kümmern, jedes Jahr eine Brevet-Serie zu organisieren. Eine Serie besteht aus Strecken von 200, 300, 400 und 600 km, die ab März oder April im Abstand von ca. vier Wochen gefahren werden. Du meldest dich über ein Kontaktformular an, zahlst ca. fünf bis fünfzehn Euro pro Termin, dafür bekommst du den Track als GPX-Datei für das Navi, eventuell ein Roadbook (eine ausformulierte Beschreibung der Strecke) und die gelbe Brevet-Karte, auf der du an vorgegebenen Orten Stempel einsammelst und die Durchfahrtzeiten festhältst.

Bei den Brevet-Serien steht standardmäßig keine Verpflegung zur Verfügung. Vorgegeben ist lediglich die Strecke und ein Zeitlimit, innerhalb dessen das Ziel erreicht werden muss, damit es als bestanden gilt. Das drumherum (Pausen, Essen, Stempel) organisierst du selbst. Manche Veranstaltende überraschen an einer Kontrolle mit einem Tisch voller Bananen, Cola und Müsliriegel oder kündigen bei beliebten gastronomischen Einrichtungen eine Horder hungriger Radfahrer*innen an. Bei meinem ersten 600er Brevet traf ich mit meinem Mitfahrer nachts um eins mitten im einsamen Brandenburg auf eine Tankstelle mit Nachtschalter. Die nette Frau ließ ausschließlich uns Radfahrende rein, hatte Decken bereit gelegt, so dass wir uns auf dem Boden ausstrecken konnten, und dimmte sogar das Licht. Sie hatte, wie sie sagte, sich schon auf die Abwechslung durch uns “tapfere Radler*innen” gefreut.
Auch machen unter den Erfahrenen oft Tipps die Runde, wo auf der Strecke es gute Möglichkeit gibt, sich kurz hinzulegen – es macht Sinn, am Start und unterwegs die Ohren zu spitzen.
Mehr Support gibt es oft bei den Super-Brevets, z.B. Paris-Brest-Paris, wo an den Kontrollpunkten Verpflegung und zum Teil Matratzenlager zur Verfügung stehen. Genaue Infos dazu erhältst du beim jeweiligen Veranstalter.
Was ist denn das Zeitlimit für diese 300, 400 oder 600 Kilometer?
Das Zeitlimit umfasst immer die Brutto-Fahrzeit, also die komplette Zeit, die du unterwegs bist, inklusive Pausen. Für 200 Kilometer ist das Limit 13,5 Stunden Zeit. Bei einem Schnitt von 20 Kilometer hast du also noch 3,5 Stunden für Essen, Sachen an- und ausziehen etc. Das mag erstmal komfortabel klingen, wird aber bei längeren Strecken anspruchsvoller: der geforderte Brutto-Schnitt bleibt fast gleich, aber die Fahrgeschwindigkeit sinkt, die benötigte Pausenzeit steigt, und bei einer Fahrt durch die Nacht kommt eventuell eine längere Schlafpause hinzu. Eine „richtige“ Übernachtung im Hotel ist für eine durchschnittliche Fahrer*in zeitlich nicht drin. Die Alternative sind Power-Naps in Sparkassen-Vorräumen oder in einem Bushäuschen am Wegesrand.
Streckenlänge | Offizielles Zeitlimit |
200 km | 13,5 Stunden |
300 km | 20 Stunden |
400 km | 27 Stunden |
600 km | 40 Stunden |
1.000 km | 75 Stunden |
Paris – Brest – Paris: 1.200 km | 90 Stunden |
Super-Randonnée, 600-620 km mit > 10.000 Höhenmetern | 60 Stunden |
Bleibst du innerhalb des Zeitlimits und kannst dies mit den Stempeln und Zeiten auf deiner Brevet-Karte belegen, wird deine Tour „homologisiert“. Noch so ein Randonneur*innen-Begriff – der einfach bedeutet, der Weltverband erkennt deine erfolgreiche Teilnahme an.

Das ist unter anderem dann wichtig, wenn du an einem Brevet teilnehmen willst, für das man sich qualifizieren muss. Der berühmteste Grund ist Paris-Brest-Paris oder PBP, ein legendäres Super-Brevet, das alle vier Jahre stattfindet, das nächste Mal in 2023. Tausende Menschen aus aller Welt sind dann vier Tage und Nächte lang im radbegeisterten Frankreich unterwegs von der Hauptstadt an die Küste und zurück – viele beschreiben es als Krönung ihrer Brevet-Laufbahn. Es gibt aber weltweit noch viele weitere sogenannte Super-Brevets, also Brevets mit Strecken von 1.000 Kilometern und mehr.
Anders als bei den meisten Self-supported-Rennen dürft Ihr Euch bei Brevets übrigens gegenseitig helfen, also auch Windschatten fahren, oder eine Übernachtungsmöglichkeit vorbuchen – wenn das Zeitlimit es zulässt!
Auswahl von Flèche Allemagne bis PBP – oder DIY-Brevets!
Neben den Serien und Super-Brevets gibt es weitere offizielle Brevet-Formate, z.B. der Flèche Allemagne, wo man in Teams von einem beliebigen Punkt in Deutschland innerhalb von 24 Stunden zur Wartburg bei Eisenach radelt (und dort auf Dutzende Gleichgesinnte aus dem ganzen Land trifft). Oder die sogenannten Super-Randonnées, das sind Strecken um 600 Kilometer mit mindestens 10.000 Höhenmetern, also mit einem deutlich höheren Kletteranteil. Diese funktionieren als „Permanente“, das heißt, es gibt kein gemeinsames Startdatum, jede Person organisiert sich selbst ihre Fahrt.

Der Begriff „Brevet“ ist außerdem nicht geschützt. Es gibt offizielle Events, die nichts mit den Randonneurs Mondiaux zu tun haben, wie z.B. das Schweizer Alpenbrevet, das eigentlich ein Radmarathon ist. Oder privat organisierte Fahrten, die sich Brevet nennen, z.B. Maries Mühlen-Brevet. Solche Events orientieren sich nur soweit an den eigentlichen Brevet-Regeln, wie die Initiator*innen das möchten.
Und schließlich kann jede*r selbst eine Strecke planen und diese Brevet nennen.

Brevetfahren, ist das was für dich?
Ich mag Brevets, weil ich sie im ganzen Freizeit-Radsport-Zirkus als relativ niederschwellig und unabhängig empfinde:
- Du brauchst keine „tollen“ Gadgets und Klamotten. Wir Randonneur*innen sind mit Sicherheit die am wenigsten Stilbewussten unter den Radfahrenden. Satteltaschen, Trekking-Sandalen mit Socken – alles geht, solange es für dich auf langen Strecken gut funktioniert, und sehr selten hebt jemand deswegen eine Augenbraue. Meine geheime Theorie ist, dass Stil einfach keine Rolle mehr spielt, wenn man auf dem Rad erstmal eine Warnweste anhat.
- Der Grundgedanke von Brevets ist, eine bestimmte Strecke innerhalb des Zeitlimits zu bewältigen. Geschafft haben es alle, denen das gelingt – ganz egal, ob sie zehn Stunden oder eine Minute vor Ablauf im Ziel sind (wobei es meistens Zeitfenster gibt, wann ein Kontrollpunkt erreicht sein muss). Natürlich fahren auch hier viele schnell los, und einige fahren auch die ganze Strecke sehr schnell. Aber du triffst immer mal wieder auf jemanden, der die Zeit vollständig nutzt, sei es, weil es nicht schneller geht, oder weil die Person den Weg genießt. Ich mag den Spirit und die Zugänglichkeit, die dadurch möglich ist.
- Die Teilnahme an Brevets lässt viele Freiheiten in der Umsetzung. Vorgegeben sind die Strecke und die Punkte an denen du Stempel einsammelst. Alles weitere bestimmst du selbst – wo und wie du Pause machst, oder auch, ob und wo du schläfst. Du bist nicht drauf festgenagelt, zu essen, was der nächste Kontrollpunkt hergibt (auch wenn Bleche mit selbstgebackenen Kuchen auf RTFs natürlich toll sind), kannst so unterwegs sein, wie es für dich am besten passt.
- Und schließlich kannst du entscheiden, ob du gern mit anderen fahren möchtest, und dich verdrücken, sobald das nicht mehr passt. Eine gute Gruppe bis zum nächsten Halt ist schön, es macht Spaß, sich zu unterhalten und zusammen mehr Fahrtwind zu erzeugen. Wenn ich dann wieder allein bin, fällt mir oft auf, dass ich die letzten Kilometer nur auf Hinterräder gestarrt habe statt auf die schöne Landschaft. Auf einem Brevet ist es sehr leicht, Allianzen zu schließen und aufzulösen – die meisten sind darauf eingestellt, die Strecke auch alleine zu schaffen.
- Brevets bieten mir die Möglichkeit, meine Ausdauer auszuspielen. Es kommt eben nicht darauf an, zum nächsten Ortsschild zu sprinten, sondern mir meine Kraft über mehrere hundert Kilometer einzuteilen. Das zu schaffen, dabei viel hautnahes Naturerlebnis, viel Gegend im perfekten Tempo, ist und bleibt ein besonderes Erlebnis!
Das spricht dich an und macht Lust, es einmal auszuprobieren?
Locker losradeln und das passende Tempo für die Langstrecke finden
„Wer hundert schafft, schafft auch zweihundert!“
Beim Brevetfahren gibt es vermutlich mehr schlaue Sprüche als beim Fußball. Aber in diesem steckt eine wichtige Erfahrung: Jede Person mit einer gewissen Grundausdauer ist in der Lage, weiter zu radeln, als sie es für möglich hält. Man muss es „einfach“ nur tun – mit etwas Lust, es auszuprobieren, und etwas Sturheit, nicht bei der ersten Ermüdung aufzugeben. Dabei gilt es zuallererst herauszufinden, in welchem Tempo das funktioniert, denn mehrere Hundert Kilometer lassen sich nicht unbedingt „durchheizen“. Und zu schauen, dass Du Dich unterwegs gut verpflegst, denn auch ein gemäßigtes Tempo kostet Kalorien.

Für ein bißchen Mut, dich auf den Weg zu machen, lege ich dir gern Sandras Blogpost „Mein erstes Mal 200 Kilometer auf dem Rennrad” ans Herz. Hast du erstmal erlebt, dass es gar nicht so schwer ist, 300 Kilometer zu fahren, wirst du den Gedanken, auch 400 oder 600 Kilometer ohne große Pausen zu fahren womöglich eher aufregend als abschreckend finden!
Und wenn es darum geht, dich auf deine erste Nachtfahrt vorzubereiten, findest du im Blogpost „Deine erste Nacht auf dem Rad“ ein paar Tipps.
Brauche ich besondere Ausrüstung?
Um auszuprobieren, ob dir das Brevetfahren grundsätzlich Spaß macht, braucht es keine großen Anschaffungen. Ich habe für meine erstes Brevet das gleiche Rad und die gleichen Klamotten benutzt, die auch auf kürzeren Strecken funktioniert haben. Was ich zuerst beachten würde:

- Navigationsgerät: Bei Brevets gibt es keine Ausschilderung wie bei RTFs (geschweige denn gesperrte Straßen). Du bekommst einen Track, den du auf dein Navi laden kannst. Wenn die Veranstaltenden noch ein Roadbook versenden, kannst du natürlich auch damit fahren. Ich habe tatsächlich schon Menschen gesehen, die im Fahren ein Papierbündel aus ihrer Fronttasche ziehen und nach dem Weg sehen! Das finde ich im Hinblick auf die eigene Sicherheit im Straßenverkehr nun weniger ratsam. Ich selbst bin meine ersten langen Strecken noch mit Sprachnavigation gefahren. Auch das hat funktioniert, wenn auch ein gelegentliches falsches Abbiegen mir auf längeren Strecken lästig wird.
- Sitzcreme: Mehr Zeit im Sattel bedeutet stärkere Beanspruchung unserer Berührungspunkte mit dem Rad. Beim Sitzen fand ich das zuallererst spürbar. Sitzcreme zu verwenden hat den großen Unterschied gemacht. Das geht davon aus, dass Sattel und Hose bereits gut passen – eine Kombi, auf der ich auf 60 Kilometern schon schlecht sitze, wird bei 200 Kilometern nicht besser sein.
- Beleuchtung: Je nach Jahreszeit kommt man auch schon bei 200 Kilometern in die Dämmerung. Eine zuverlässige Beleuchtung hilft, gerade auch, wenn man am Ende nicht mehr in der Lage ist, einen Zahn zuzulegen kann, um vor der Dunkelheit im Ziel zu sein.
- Regenkleidung: Länger unterwegs sein heißt, es kann auch mal schlechtes Wetter geben. Ich habe dafür eine Regenjacke und Neopren-Überschuhe dabei. Auch ist wichtiger als auf kurzen Touren, sich den Temperaturen entsprechend anzuziehen, weil man eben nicht mal nur kurz sprintet und dann wieder daheim im Warmen ist.
Auf Dauer ist es dann sinnvoll, auf belastbares Material zu achten, weil wir Rad und Körper höherem Verschleiß aussetzen. Dazu gehört auch, Reibungspunkte zu verringern. Was auf einer 70-Kilometer-Tour schmerzt oder lose wird, wird auf 200 nicht besser werden. Aber das findet sich alles mit der Zeit – die meisten Randonneur*innen, die ich kenne, basteln für immer an ihrem Setup herum, weil sich immer noch irgendwas optimieren lässt. Das ist ein Teil dieses schönen Hobbys.
Ich hoffe, dieser Blogpost konnte einen kleinen Einblick geben, wie diese Freizeit-Radsport-Nische funktioniert, was sie aus meiner Sicht so besonders macht und wie sich das Brevetfahren ganz einfach selbst erfahren lässt.
Viel Spaß beim Ausprobieren und lass uns gern wissen, wie es dir ergangen ist!
Weiterführende Links:
- Haupt-Website des Randonneurs-Verband in Deutschland mit Terminen und Co
- Zur weiteren Inspiration empfiehlt sich der Film “Brevet”, der drei Fahrer*innen über das Super-Brevet Paris-Brest-Paris begleitet
Text: Eva Ullrich
Lektorat: Johanna Jahnke
Edit & Layout: Juliane Schumacher
Fotos: Eva Ullrich
Ausrüstung Brevet-Serie Paris-Brest-Paris Randonneur*in Super-Brevet Super-Randonnée Zeitlimit
Liebe Eva, danke für die Zusammenstellung der Brevet-Infos. Ich versuche aktuell so viele Tipps wie möglich zu erhalten. Die 400er Marke habe ich in diesem Jahr zum ersten Mal überschritten. Für die nächste Stufe muss ich mich dann mit dem Thema Schlafen auseinandersetzen. Das wird noch mal eine besondere Herausforderung, aber ich bin guter Dinge. Viele Grüße, Anja
Liebe Anja, herzlichen Glückwunsch zur 400er-Marke. Das ist eine tolle Distanz! Ja, Schlafen unterwegs ist eine spannende Sache. Ich konnte mir lange nicht vorstellen, dass ich mich irgendwo allein hinlege, und bin lieber durchgefahren. Irgendwann habe ich es in Begleitung probiert, das hat mir den “Einstieg” erleichtert. Und die Temperaturen nachts sind auch so ein Thema: was nimmst du zum Überziehen beim Fahren mit, was ggf. zum Schlafen. Ich habe dazu viel gelesen und nach und nach herausgefunden, wie es für mich passt. Melde dich gern, wenn du was Spezielles wissen willst. Ansonsten viel Spaß dabei 🙂
Vielen Dank für Deinen Bericht. Er macht richtig Lust drauf, es mal selbst zu versuchen.
Liebe Eva,
ich finde du hast sehr gut zusammengefasst was ein Brevet ist. Auch ich liebe diese Veranstaltungen und ich weiß heute noch was für ein unglaublich super Gefühl es war als ich das erste Mal Superrandonneuse geworden bin.
Was ich vielleicht noch hervorheben möchte ist, dass man auch als letzte noch genauso respektiert wird als als Erste. Hier in Òsterreich sind sehr viele sehr schnelle FahrerInnen unterwegs aber ich fühle mich trotzdem als Teil der Gruppe. Hier gibt jeder jedem Tipps und bleibt auch Mal stehen wenn manHilfe benötigt. Ich hoffe noch sehr viele brevets fahren zu können und wünschen dir das auch!
Übrigens ist Paris Brest Paris wirklich eine unglaubliche Erfahrung!
Liebe Grüße Heide
Liebe Heide, ja, jede Teilnahme zählt gleich, egal in welcher Geschwindigkeit. Und den Zusammenhalt mag ich auch sehr. Ich wünsche Dir eine schöne Brevet-Saison. Liebe Grüße!
Liebe Eva, du hast mich überzeugt. Bislang hieß bei mir “Lang”strecke um die 120 km, dieses Jahr werde ich mal die 200 km angehen und mal schauen, ob die 300 km dann auch locken.
Liebe Jen,
das finde ich sehr schön. Deine Langstrecke ist auch schon mehr als die meisten Menschen, die ich kenne, jemals fahren würden, die Gänsefüßchen können also weg 🙂 Ich wünsche dir wunderbare Touren mit vielen Highlights und vielleicht auch einem klitzekleinen Tiefpunkt, das gibt die richtige Würze!